Montag, 29. September 2014

Baiba Giptere und das Hinterhof-Projekt in der Moskauer Vorstadt

Aus der Lesung im Rahmen der Abschlussveranstaltung als Stadtschreiber am 23. September 2014 im Goethe-Institut Riga

Auf einer Bank sitzen ein paar Rentner und plaudern angeregt. Nebenan turnen Kinder ausgelassen an den neuen Spielgeräten. Vögel zwitschern, ein Auto parkt, von weitem hört man eine Straßenbahn vorbeifahren. Eine ältere Dame mit Plastiktüte in der Hand betrachtet geradezu fürsorglich einige Kürbisse, die bereits so groß wie Basketbälle sind. Das Geräusch eines Rasenmähers vermittelt den Eindruck von ländlicher Betriebsamkeit. Doch der Ort, an dem sich diese scheinbar alltägliche Szene abspielt, ist ein ungewöhnlicher Hinterhof in Riga, genauer gesagt in der Moskauer Vorstadt, einem Stadtviertel, das überwiegend aus ziemlich heruntergekommenen Holzhäusern und sowjetischen Plattenbauten besteht, und in dem fast nur Russen wohnen.

„Baiba!“ ruft die Frau mit Plastiktüte auf Russisch. „Willst Du noch eine Tüte mit Äpfeln haben?“ „Ja, gerne, danke! Ich komme gleich!“ ruft eine Stimme aus dem Hausflur zurück. Kurze Zeit später erscheint eine Frau um die fünfzig, akkurat gekleidet, blondiertes schulterlanges Haar. Hinter ihr ein Mann mit Fotoapparat und Aufnahmegerät, ein Journalist aus Deutschland, dem sie gerade den Projektraum gezeigt hat. Er verabschiedet sich höflich, dann geht Baiba zu der Frau bei den Kürbissen und nimmt die Plastiktüte mit den Äpfeln entgegen.

Medienvertreter aus aller Welt wurden in diesem Hinterhof schon oft gesehen, seitdem die Nachbarn nicht mehr den ganzen Tag vor dem Fernseher sitzen, jeder für sich allein, und vor allem, seitdem der verwahrloste Bereich zwischen den fünfstöckigen Mehrfamilienhäusern aus weißem Backstein nicht mehr Treffpunkt von Alkoholikern, Drogenabhängigen und Müllsammlern ist. Baiba war zwar nicht die Erste, die sich über den schlechten Zustand des Hofs aufregte, dafür war sie aber bereit, sich dafür einzusetzen, ihn umzugestalten. Sie wollte einfach nicht mehr zulassen, dass ihre jüngster Sohn in einem mit leeren Flaschen und Zigarettenkippen verschmutzten Sandkasten spielen musste.

So gründete sie mit einigen Nachbarn den Verein für die Entwicklung der Latgaler Vorstadt (Asociācija Latgales priekšpilsētas attīstībai), zu der auch die Moskauer Vorstadt gehört. Und als bekannt wurde, dass sowohl die Stadt Riga als auch die Stiftung Riga 2014 Gelder für die besten Konzepte für die Verschönerung der Hinterhöfe bereitstellen würden, erarbeitete die kleine Gruppe um Baiba ein erfolgreiches Konzept, mit dem sie jeweils den Zuschlag erhielt. Spätestens von dem Moment an, als Gärtner und Architekten kamen und konkrete Pläne für die Umgestaltung vorlegten, waren auch die meisten bisher eher skeptischen Nachbarn bereit mitzumachen. In gemeinsamen Aktionen wurde der Innenhof nun in gemeinschaftlicher Arbeit umgebaut. Und nicht nur das. In der Folge organisierte der Verein Hoffeste, Sommer-Sport, Ausflüge, Kochkurse und Bastelwerkstätten, die zum Teil draußen im Hof und teilweise in dem oberflächlich renovierten Projektraum im Kellergeschoss veranstaltet wurden, den der Verein angemietet hatte.


Was nun folgte, war im positiven Sinne absehbar: Die Nachbarn aus der Umgebung kamen und interessierten sich, und so dauerte es nicht lange, bis Baiba den nächsten Antrag schrieb. Mittlerweile sind es drei Hinterhöfe, die umgestaltet wurden, und ein Ende ist noch nicht in Sicht. „Die Menschen hier haben verstanden, dass sie Dinge verändern können, wenn Sie gemeinsam handeln. Und dass es wichtig ist, wenn einer den Anfang macht.“ erzählt Baiba immer wieder den Besuchern, die sich ein eigenes Bild machen möchten. Dabei ist ihr aber auch klar, dass die Umgestaltung niemals ohne öffentliche Fördermittel und private Spenden funktioniert hätte. Auf die immer wiederkehrende Frage, warum sie hier als Lettin zwischen so vielen Russen wohne, antwortet sie gelassen, dass Sie schon seit zwanzig Jahren hier lebe, und dass sehr gerne. „Ich denke beinahe schon auf Russisch“ fügt sie lachend hinzu. „Die Russen sind offener als die Letten, mit ihnen ist es einfacher, etwas zu unternehmen. Die Letten sitzen lieber zu Hause“.

Illusionen über das Leben in Riga macht sich die gelernte Schneiderin trotz aller Bemühungen aber nicht. Dass ihre älteste Tochter beabsichtigt, nach New York zu fliegen, um sich dort um einen Studienplatz zu bewerben, unterstützt sie ohne Wenn und Aber. „Welche Perspektive hat sie schon hier in Riga?“ Dass es keine Kontinuität gäbe, bemängelt sie. So ginge es auch ihren Nachbarn, von denen meisten nur an heute und morgen denken würden. Was danach käme, sei ohnehin nicht planbar, zumindest nicht in diesem Land.

Angst vor Putin und seiner aggressiven Außenpolitik habe sie aber nicht. Und dass es unter den Russen einige Befürworter Putins gäbe, stört sie nicht. Niemals würde er es wagen, Lettland oder auch nur Teile Lettlands zu okkupieren, da sei sie felsenfest von überzeugt. Und die lettischen Russen würden es auch gar nicht wollen, gibt sie zu bedenken. Die wüssten genau, dass es ihnen hier besser geht als den meisten Menschen in Russland.

Baiba Giptere macht es wohl richtig. Ohne sich allzu große Illusionen zu machen, setzt sie sich für die Verbesserung des Zusammenlebens der Menschen ein. Es ist erstaunlich, dass die Verschönerung eines Hinterhofs die Aufmerksamkeit der internationalen Presse erregt. Eigeninitiative und nachbarschaftliche Projekte scheinen in Lettland immer noch etwas Besonderes zu sein.
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2 Kommentare:

Lisa hat gesagt…

Ein ganz interessantes Projekt, hab davor noch nie davon gehört.

Anonym hat gesagt…

Ein schönes Projekt! Und es liest sich so, als ob hier noch alle Generationen unter einem Dach hausen würden. Schön!

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