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Samstag, 2. August 2014

Spurensuche auf dem Lande

Die deutschbaltische Vergangenheit ist immer noch in Lettland präsent – aber nicht nur die, auch die Ereignisse während des ersten und zweiten Weltkrieges haben ihre Spuren hinterlassen. Vor allem in Kurland (Kurzeme), einer der vier historischen Provinzen Lettlands (neben Semgallen (Zemgale), Zentral-Livland (Vidzeme) und Lettgallen (Latgale)), waren die Kämpfe äußerst heftig, als Ende 1944 die deutsche Heeresgruppe Nord (später Heeresgruppe Kurland) sowie die Luftwaffen- und Marineeinheiten in Kurland eingeschlossen wurden. Und mittendrin Letten, auf beiden Seiten, die als sogenannte „Freiwillige“ eingezogen worden waren (in den meisten Fällen natürlich gegen den eigenen Willen).

Ein Tagesausflug mit einem Mietauto führte mich kürzlich zur deutschen Kriegsgräberstätte im südlichen Stadtgebiet von Jelgava (Mitau). Nach Angaben des Volksbunds Deutsche Kriegsgräberfürsorge e.V., der in den letzten 25 Jahren zahlreiche Kriegsgräberstätten in Lettland wiederherstellen oder neu errichten hat lassen, liegen hier 1215 deutsche Gefallene aus dem Ersten Weltkrieg und etwa 200 Gefallene aus dem Zweiten Weltkrieg. Insgesamt sollen auf dem Gebiet von Lettland etwa 100 000 Kriegstote des Zweiten Weltkrieges an etwa 6 600 Grablageorten liegen. Etwa 30 000 Soldaten sollen darüber hinaus zwischen 1914 und 1918 gefallen sein – wohlgemerkt, nur Soldaten der deutschen Armeen...

Im Stadtzentrum von Jelgava dann ein ganz anderes Bild: Breit und mächtig erstreckt sich das Schloss Jelgava (Schloss Mitau) auf einer Flussinsel der Lielupe (Kurländische Aa), dem zweigrößten Fluss Lettlands. Herzog Ernst Johann von Biron hatte es sich zwischen 1738-1772 von Bartolomeo Francesco Rastrelli erbauen lassen, dem berühmten Bauherr einiger Paläste in St. Petersburg. Dessen Dienste waren in der Zarenstadt irgendwann nicht mehr gefragt, worauf er sich intensiver im kurländischen Herzogtum betätigte. Das Schloss Jelgava ist übrigens das größte Schloss des Baltikums.


Dass Herzog Ernst Johann von Biron in seinen kurländischen Palästen kaum Zeit verbrachte – für ihn hatte die russische Zarin Anna Iwanowna vor dem Bau des Schlosses in Jelgava bereits das Schloss Rundāle (Schloss Ruhenthal) erbauen lassen - als seinen Sommersitz, spielte für Biron wohl kaum eine Rolle. Die längste Zeit des Jahre verbrachte er sowieso in St. Petersburg, als Günstling Anna Iwanownas und später mächtigster Mann im Russischen Reich, allerdings nur bis zu dem Moment, als Zarin Anna Iwanowna das Zeitliche segnete und er von seinen Feinden am Hof für 20 Jahre nach Sibirien, später nach Jaroslawl verbannt wurde. Seine Schlösser konnte er erst nach seiner Begnadigung und Wiedereinsetzung als Herzog von Kurland 1762 wiedersehen, allerdings immer noch nicht im fertigen Zustand. Und als die Bauarbeiten am Schloss Jelgava dann 1772 endlich für beendet erklärt worden waren, starb Ernst Johann von Biron einen Monat später. 


Zwischen Jelgava und Kandava (Kandau) stieß ich auf der Suche nach dem Kriegsgräberfriedhof in Džūkste auf ein interessantes Museum, das in einer ehemaligen Landschule beheimatet ist. Es widmet sich in seiner Ausstellung dem Lehrer Ansis Lerhis-Puškaitis (1859-1903), der in diesem Gebäude von 1883 bis 1903 seine Schüler unterichtete, aber auch als Schriftsteller und vor allem Sammler von lettischen Märchen und Sagen tätig war. Bis heute gilt er mit seiner umfangreichen Sammlung von ungefähr 6 000 Märchen als „Vater der lettischen Märchen“. 

Der Kriegsgräberfriedhof in Džūkste wurde am 14. Juni 1997 eingeweiht und erinnert ausschließlich an die Ereignisse im Zweiten Weltkrieg. Zwischen den Grabsteinen der 416 Kriegstoten am östlichen Rand des Zivilfriedhofes findet man übrigens auch zahlreiche Letten, die für die Deutsche Wehrmacht kämpfen mussten. Und auch die Kirchenruine in der Nähe bezeugt, wie brutal sich hier die verfeindeten Fronten bekämpft haben müssen. Sie wurde von den Deutschen zerbombt, weil die Sowjets von ihrem Turm aus sehen konnten, wo sich die Deutschen gerade aufhielten.


Das Herrenhaus Kukšas (Kukšu muižā) in der zwischen Kandava und Tukums (Tuckum) wirkte nach solchen Eindrücken geradezu wie aus der Zeit gefallen. Perfekt wieder aufgebaut steht es da, idyllisch an einem kleinen See gelegen, von einem hübschen Garten umgeben. Hier hat sich der neue Hausherr, Hotelier und Koch Daniel Jahn wohl einen Lebenstraum erfüllt, als er das damals ziemlich heruntergekommene Herrenhaus Ende der 1990er Jahre einer älteren Dame abkaufen konnte. Mit viel Mühe hat er das Haus wieder detailgetreu hergerichtet und ein Hotel eröffnet, vor allem auf die aufwändig restaurierten Wandmalereien vom Ende des 18. Jh. ist der Hausherr stolz . Heute residieren in dem Hotel wohlbetuchte Gäste aus aller Welt, auch zahlreiche lettische Prominente.


Die Geschichte des Hauses ist abwechslungsreich. Erstmals 1530 erwähnt, wurde es mehrfach verkauft, bis es letztlich in die Hände der Familie von Bötticher gelangte, die das Gut bis zur lettischen Landreform 1920-1922 besaß. Erwähnenswert ist, dass in diesem Haus auch die Mutter des deutschbaltischen Schriftstellers Werner von Bergengrün – Helene Anna Mathilde von Bötticher geboren worden. Sie heiratete 1889 Dr.med. Paul Emil von Bergengrün.

Der Rückweg nach Riga führte über den verfallenen Kurort Ķemeri (Kemmern). „Verfallen“ ist vielleicht übertrieben, doch angesichts der Kontraste und der Möglichkeiten, die dieses kleine Städtchen hätte, ist der Begriff in meinen Augen passend. Als in Ķemeri 1796 nämlich entdeckt wurde, dass das schwefelhaltige Quellwasser in der Gegend und auch der Schlamm heilende Wirkung hätten (zur Behandlung von Nervenerkrankungen, der Gelenke, Knochen und Muskeln), entwickelte sich die Ortschaft nach und nach zu einem Heilort. Doch so richtig wurde Ķemeri erst bekannt, als Nikolaus I. von Russland es zum Kurort ernannte und das erste Badehaus errichtet wurde. Als dann 1912 auch noch eine direkte Eisenbahnverbindung zwischen Moskau und Ķemeri eröffnet und der nahegelegene Strand von Jaunķemeri durch eine Straßenbahn leicht erreichbar wurde, stieg die Ortschaft endgültig zu einer der beliebtesten Adressen der nordosteuropäischen High Society auf. Nach Zerstörungen während des Ersten Weltkrieges wurde von der nun unabhängigen Republik Lettland viel Geld investiert und mehrere neue Gebäude erbaut, unter anderem das in den 1930er Jahren nach Entwürfen von Eižens Laube errichtete Hotel mit dem Spitznamen „Weißes Schiff“. 


Doch die Zeit war schneller und der Zweite Weltkrieg zermalmte das kleine Land zwischen den Großmächten. Danach blieb nichts mehr, als die neu errichteten Häuser mitsamt dem idyllischen Park mit seinen romantischen Brücken und einem Teepavillon dem sowjetischen Verfall preiszugeben. Als Lettland dann zum Zweiten Mal unabhängig wurde, dauerte es nicht lange und die West-Investoren standen vor der Tür, mit hoffnungsvollen Aussichten. Das Riesenhotel wurde angeblich von der Kempinsky-Gruppe gekauft und gründlich restauriert. Doch dann... die Entwicklung des Ortes, ja, des ganzen Landes, blieb stehen. Die reichen Russen stürzten und stürzen sich nach wie vor nur auf das mittlerweile ziemlich schicke Jūrmala (Rigaer Strand). Doch nach Ķemeri, eigentlich nicht weit von Jūrmala entfernt, will keiner mehr. 

Das „Weiße Schiff“, das große Badehaus, der Wasserturm, der Teepavillon und die schönen Brücken sind vermutlich noch jahrzentelang dem Verfall preisgegeben. Und die Kempinsky-Gruppe verbucht ihr Hotel vermutlich einfach nur als Fehlinvestition und setzt diese von den Steuern ab. Irgendwann wird schon jemand kommen, der es kaufen wird. Die Preise gehen in Lettland ja nicht mehr runter.

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