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Dienstag, 16. September 2014

Lyrik im herbstlichen Riga


Der Herbst setzt langsam ein in Riga, die Blätter der Birken werden gelb, die Luft wird feuchter. Jacken werden aus den Schränken geholt, die ersten Nebelschwaden ziehen morgens auf. Nachmittags übernimmt dann die Sonne wieder die Führung, sendet zärtliche Lichtstrahlen, bevor die Nacht bereits um Acht hereinbricht...

Die fünfte Jahreszeit ist auch eine Zeit der Poesie (wobei ich nicht behaupten will, dass die Zeilen weiter oben Poesie sind), zumindest hier in Riga, wo im September wie in den vergangenen Jahren die Poesietage stattfinden, in Gedenken an Lettlands Nationaldichter Rainis (offfiziell: Jānis Pliekšāns), der Goethes Faust ins Lettische übersetzt und die Lettische Sprache (nicht nur dadurch, aber auch) um einen großen Sprung nach vorne gebracht hat. Und weil dieses Jahr Riga eine der beiden europäischen Kulturhauptstädte ist (neben Umeå in Schweden), dauert das Festival dieses Mal länger als sonst, nämlich fast drei Wochen. Darüber hinaus finden die Lesungen, Konzerte, Buchvorstellungen teilweise an neuen Orten statt, zum Beispiel in der kürzlich erst eröffneten Nationalbibliothek. Es kamen und kommen auch ausländische Autoren zu Wort, auch aus Deutschland, z. B. Eberhard Häfner, Alexander Filyuta und Tom Schultz. Nicht zuletzt kommen auch russische Autoren, die in Riga bzw. Lettland leben, zu Wort.

Spannend war das Projekt „Poetry Map of Riga“, das im Rahmen des Kulturhauptstadtprogramms präsentiert wurde. Es ging darum, auf künstlerische Art und Weise (also in Form von allen möglichen Genres – sei es Musik, Videos, Installationen und Performances, oder aber auch interaktive Software oder Computer-Grafiken) eine ungewöhnliche Karte von Riga anzufertigen, auf der die Vielfalt der „urbanen Phänomene“ in der Stadt dargestellt werden sollten: in den Straßen, den Nachbarschaften, Häusern, Cafés, auf Kreuzungen, in Hinterhöfen, und so weiter. Die Ergebnisse wurden in mehreren Ausstellungen gezeigt, zuletzt in der ehemaligen Tabakfabrik, wo im Sommer auch die Selbstportraits des „RIGA SELF/PORTRAITS“-Projekts gezeigt wurden.

Ich muss gestehen: Es ist gerade so viel los in Riga, dass ich an noch nicht einmal der Hälfte der Veranstaltungen, die ich gerne besuchen würde, teilnehmen kann. Das geht eigentlich schon die ganze Zeit so. Nebenbei gibt es ja auch noch andere Aufgaben, zum Beispiel die Arbeit an meinem Buch, meinem Projekt, etwa 25 bis 40 (Kurz-) Portraits über Menschen in Riga zu schreiben, vor allem Menschen, die etwas Bestimmtes erreichen möchten, Menschen, die engagiert sind. Eine Aufgabe, die größer ist, als ich es erwartet habe, viel schwieriger, da man so viel falsch machen kann, wenn man über Schicksale schreibt, über Menschen, die so vieles Persönliches von sich preisgeben, wenn man mit ihnen spricht...

Meine Zeit als Stadtschreiber geht in zwei Wochen zuende. Schade eigentlich, sehr schade, denn es gäbe noch so viel zu erzählen. Die Stadt, von der ich meinte, sie bereits sehr gut zu kennen, hat mich überrascht. Sie hat mir mehrere „Geheimnisse“ verraten, aber nur so viele, dass sie mich neugierig gemacht hat, neugieriger als je zuvor. Zum Glück wird mich mein „Projekt“ noch oft nach Riga bringen, mindestens bis zum nächsten Sommer, das habe ich mir fest vorgenommen. Ich bin sehr gespannt auf die Entwicklung der Menschen, auf deren Hoffnungen, vielleicht aber auch Enttäuschungen. Auf ihr Schicksal und wie sie damit umgehen, auf ihren Mut und auf ihre Ängste.
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Dienstag, 29. Juli 2014

Nachbarschaftliche Selbstportraits

Was sehen die meisten Touristen, wenn sie Riga besuchen? Natürlich die Altstadt, vielleicht auch die sogenannte Neustadt mit den Jugendstilhäusern, auf jeden Fall auch noch den Weg zum Flughafen. Welcher Eindruck bleibt? Möglicherweise der, dass Riga eine schöne Stadt ist, eine Stadt, die sich anscheinend gut entwickelt hat, die auf dem Weg ist, westeuropäisches Niveau zu erreichen (wenn das in der heutigen Zeit überhaupt noch ein Merkmal für etwas Positives ist).

Was den meisten Reisenden aber verschlossen bleibt, ist, wie so oft, das weniger ansehliche Alltagsleben der Einwohner. Insgesamt 58 Nachbarschaften (mikrorajoni) gibt es in der Stadt, die meisten davon sind Wohngebiete, vor allem Plattenbausiedlungen am Stadtrand wie Pļavnieki im Osten oder Ziepniekalns im Westen. Näher an der Altstadt liegen die von alten, meist unrenovierten Holzhäusern geprägten Viertel wie die Moskauer Vorstadt (Maskavas forštate), Āgenskalns oder Torņakalns. Sie alle haben ihre ganz eigene Atmosphäre.Während manche Stadtviertel immer mehr junge Menschen anziehen und als trendy gelten, haben andere mit verstärktem Wegzug und Leerstand zu kämpfen. Was es aber in beinahe allen der 58 Nachbarschaften zu wenig gibt, sind kulturelle und sozialen Projekte.  

Um die Einwohner in das Kulturhauptstadtprogramm , hat die Stiftung Riga 2014 mehrere Projekte angeschoben, die eines der sieben Kapitel des Gesamtprogramms ausmachen. “Road Map” heißt es, kuriert wird es von der Theatermacherin und Leiterin des Lettischen Neuen Theaterinstituts, Gundega Laiviņa. Zahlreiche kleinere, von der Öffentlichkeit kaum registrierte Projekte wurden bereits umgesetzt, sei es die Säuberung und Neugestaltung von bislang als Drogenumschlagplatz genutzten Hinterhöfen oder die Eröffnung der Ziemeļblāzma Sonntags-Kunstschule.

Ein ganz besonderes und auch langwieriges Projekt waren die Foto-
Workshops, an denen Einwohner von Kengarags, Bolderāja, Jugla und anderen Vierteln von Riga zwischen 2012 bis 2014 teilnahmen, um ihre fotografischen Selbstporträts mit der Hilfe von ausländischen und/oder lettischen Fotokünstlern wie Vesa Aaltonen, Kaspars Goba, Andrejs Strokins, Andris Kozlovskis, Vincen Beeckman, Bahbak Hashemi-Nezhad, Eva Voutsaki und Iveta Vaivode zu erstellen. Eine Auswahl der Selbstporträts wurde nun für ein paar Wochen im Rahmen der Ausstellung Riga Self/portraits in einer stillgelegten Tabakfabrik präsentiert. 





Gezeigt wurden auch eine Auswahl von Selbstporträts (oder Portraits), die die Bewohner eingeschickt hatten. 


Vincen Beeckman (B) lud im März 2013 Passanten auf dem zentralen Busbahnhof von Riga und in einem Shoppingcenter in Imanta dazu ein, Bilder von sich in der guten alten Fotokabine machen zu lassen. Sie ist ja heutzutage schon beinahe aus der Mode gekommen - dank der Möglichkeit, Selfies mit Smartphones zu schießen und diese sofort in allen möglichen sozialen Netzwerken verbreiten zu können.

Ein ganz besonderes Projekt war der Workshop von Iveta Vaivode (LV), die die Bewohner eines Blindenheims im ehemaligen Herrenhaus Strasdenhof (Strazdumuiža) in Jugla dazu animierte, ihr eigenes Selbstbildnis aus Ton zu erschaffen. 


Die persönliche Geschichte reflektieren ließ die Künstlerin Eva Voutsaki (GR/UK), indem sie die Teilnehmer des Workshops aus  Bolderāja, einem Stadtteil mit einem extrem hohen Anteil russischsprachiger Bevölkerung, dazu brachte, alte Familienfotos zu bearbeiten.


Dagegen unternahm Bahbak Hashemi-Nezhad (UK) mit seinen Leuten mehrere Spaziergänge  durch Bolderāja. Es entstanden Aufnahmen, die die Bewohner aus einiger Entfernung zeigen.


Bei mir blieb nach dem Verlassen der Ausstellung der Eindruck, dass es genau diese Projekte sind, die eine dauerhafte Wirkung entfachen - im Kleinen. 

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