Es
war ein Schritt auf unbekanntes Terrain: Letztes Wochenende war ich
(zumindest teilweise) auf den alljährlich Anfang Juli stattfindenden
Kulturtagen von Domus Rigensis, dem lettisch-deutschbaltischen
Kulturverein, der sich vor allem „für die Bewahrung und Pflege des
gemeinsamen kulturellen Erbes der Stadt Riga, die Begegnung von
Letten und Deutschbalten und für die Vermittlung von Kenntnissen zur
baltischen Geschichte und Kultur einsetzt“ (Zitat Webseite Domus
Rigensis).
Komischerweise hatte ich den Kontakt
zur deutschsprachigen Kultur in Riga und Lettland in all den Jahren,
in denen ich immer wieder vor Ort
war, mehr oder weniger gemieden. Es schien mir wichtiger, die
lettische Seite (und Seele) kennenzulernen. Aber das war natürlich
ein Fehler. Denn der deutsche Einfluss auf die lettische Geschichte
und Kultur ist natürlich nach wie vor immens, nach ungefähr sieben
Jahrhunderten, in denen Deutsche zuerst als Eroberer ins Land kamen,
dann als Machthaber blieben und später, als das Gebiet unter
russischer Verwaltung stand, zumindest als wirtschaftliche und
soziale Elite die lettische Bevölkerung dominierten.
Davon
abgesehen, dass der Einfluss der Deutschen in Riga mit dem Zuzug der
lettischen Landbevölkerung zwischen 1873 bis 1913 deutlich sank, ein
großer Teil der Deutschbalten nach der Bodenreform 1920, als der
deutschbaltische Großgrundbesitz enteignet wurde, das Land verließ,
und die noch verbliebenen Deutschbalten 1939 im Zuge des
deutsch-sowjetischen Nichtangriffspakts aufgefordert wurden, „Heim
ins Reich“ zu kommen und Lettland zu verlassen und sich in
Ostdeutschland oder in den neueroberten Gebieten Polens
niederzulassen, so dass in Lettland Ende 1939 kaum noch Deutschbalten lebten, wirkt die lange Zeit, in der Deutschbalten
vorwiegend in den Städten wohnten, Schlösser besaßen oder
Gutsherren waren, immer noch nach.
Deutschbalten gibt es in Lettland also
nur noch sehr wenige. Aber immerhin existieren in Lettland, Estland
und Deutschland nicht wenige Organisationen, die an die Geschichte
und die Kultur der Deutschbalten erinnern.
Und nun nehme ich also, viel zu spät, endlich Kontakt zu
„Domus Rigensis“, auf, dem wichtigsten Verein für
lettisch-deutschbaltischen Kulturaustausch in Riga.
Herzstück ist ein kleines Büro im 300
Jahre alten Mentzendorffhaus, einem unter der Führung des
Architekten Pēteris Blūms sorgfältig restaurierten Wohnhaus in der
Altstadt von Riga, in dem heute auch das Museum für Städtische
Wohnkultur untergebracht ist. Büroleiterin ist Nora Rutka, die mich bei meinem ersten Besuch
kurz vor Beginn der Kulturtage so freundlich begrüßte, dass ich
mich irgendwie ärgerte, nicht schon früher hierher gekommen zu
sein.
Die Veranstaltungen der
Domus-Rigensis-Kulturtage fanden dieses Jahr aber vor allem im
Haberlandsaal des Rigaer Stadt- und Schifffahrtsmuseums statt. Neben
der obligatorischen Mitgliederversammlung gab es am ersten Abend auch
Vorträge von Prof.
Erwin Oberländer aus Bonn mit dem
Titel „Rigas Aufstieg zur europäischen Wirtschaftsmetropole und
zur multikulturellen Vielvölkerstadt zwischen 1860 und 1914“ sowie
von dem Dramaturgen Mikus Čeže aus Riga mit dem Titel „Die
Bedeutung von Geld und Macht beim Wandel vom Deutschen Stadttheater
zur Lettischen Nationaloper“ zu hören.
Vortrag von Prof. Erwin Oberländer |
Vortrag von Mikus Čeže |
Am zweiten Tag fand im gleichen Saal
ein Konzert der Sopranistin Martina Doehring und des Pianisten und
Komponisten Aivars Kalejs statt (inklusive der multi-medial
präsentierten Ausstellung „Baltness–wo sich Mensch und Meer
begegnen“, einer „vergnüglichen Hommage an Lettland“), bevor
am Nachmittag eine Führung durch die Lettische Nationaloper
unternommen (Leitung: von Mikus Čeže) und es am Abend auf dem
Schiff „Vecriga“ im Rahmen eines „Baltischen Abends“
Gelegenheit zum „geselligen Beisammensein“ gab. Am letzten Tag
fand abschließend noch ein gemeinsamer Ausflug nach
Goldingen/Kuldiga statt.
Nein, ich war nicht auf allen
Veranstaltungen, aber ich habe dennoch sehr interessante
Persönlichkeiten kennengelernt, wie etwa die deutschbaltische
Historikerin und Journalistin Anita Kugler, Verfasserin des Buches
"Scherwitz. Der jüdische SS-Offizier", der unglaublichen
Geschichte von Fritz Scherwitz/Eleke Serewitz, der von einem
deutschen Gericht zu einer mehrjährigen Gefängnisstrafe verurteilt
wurde, weil er „drei jüdische Häftlinge seines Lagers erschossen
haben soll. Strafverschärfend wurde ihm angelastet, dass er
moralisch besonders verwerflich gehandelt habe, weil er als Jude
eigene "Rassegenossen" getötet haben soll.“ (Zitat aus
Spiegel Online-Interview mit Anita Kugler, 2004). Als ob es weniger
schlimm wäre, wenn Christen Juden töten würden...
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