Vor ein paar Tagen habe ich das neue „Lichtschloss“ von Riga besucht. Ein
gigantischer Bau, der alles übersteigt, was man jemals in Lettland
errichtet hat. Noch in Jahrhunderten wird es vermutlich als
bedeutendstes Bauwerk des Landes gelten, und seinem Architekten,
Gunnar Birkerts (lett:Gunārs
Birkerts),
ein US-Amerikaner
lettischer Abstammung, wird man irgendwann möglicherweise ein riesiges Denkmal
errichten.
Foto: Kaspars Garda, Rīga 2014 |
Der Grund für diese beinahe schon maßlose Verkleinerung dürfte in den Kosten liegen. Nun muss der lettische Steuerzahler „nur“ rund 200 Millionen Euro für den Bau hinlegen. Und das in einem Land, das sich noch vor ein paar Jahren 4,4 Milliarden Euro vom IWF leihen musste. Aber diese Schulden sind längst getilgt, dank der Einsparungen, die die Politiker durchgesetzt haben. So wurden vor einigen Jahren vor allem im öffentlichen Sektor die Gehälter um durchschnittlich 25 Prozent gekürzt. Und für die Rentner, die mit ca. 300 Euro im Monat auskommen müssen, oder die unzähligen Menschen, die in den Müllcontainern der Vorstädte Lebensmittel suchen, oder die hervorragenden Straßenmusiker, die keine Stelle gefunden haben, ist so ein überdimensioniertes Bauwerk sowieso nicht mehr erklärbar. Da können einem dann auch schon mal die Worte fehlen.
Macht nichts. Geht mich ja nichts an. Könnte ich denken. Aber es regt mich auf. Und auch, wenn das „Lichtschloss“ einige schöne Seiten hat, und auch, wenn mir die Initiative während der Eröffnungsfeierlichkeiten zum Kulturhauptstadtjahr im Januar 2014, als Tausende Bürger bei über Minus zehn Grad eine Menschenkette zwischen alter und neuer Nationalbibliothek bildeten und von Bürgern gespendete Bücher von Hand zu Hand weiterreichten und so in Birkert's Bauwerk brachten, wo sie nun hinter einer riesigen Glasscheibe quasi solidarisch darauf hinweisen sollen, dass diese Bibliothek allen Letten gehört und hier, hinter diesem gigantischen Bücherregal, auf mehreren Stockwerken, ideal klimatisiert und meistens im Dunkeln, das nationale lettische Vermächtnis liegt, kann ich persönlich mich nicht mit diesem Haus anfreunden.
Den
meisten Letten scheint es aber zu gefallen, so zumindest ist mein
Eindruck. Aber mal abwarten, wie sich die Sache entwickelt. Und im
übrigen geht es ja um viel mehr. Es geht um Nationalbewusstsein. Um
ein Zusammengehörigkeitsgefühl. Darum, dass dieses Land nun endlich
dauerhaft unabhängig sein möchte, seine eigene Sprache sprechen und
seine eigene Kultur bewahren möchte. Und deswegen ja auch die
auffällige Form: Nach einer lettischen Sage gab es nämlich einmal
ein Schloss des Lichts, dass vor langer Zeit versunken ist und erst
dann wieder aufsteigen würde, wenn das lettische Volk frei und
unabhängig ist. Darüber hinaus spielt der Architekt auch auf
ein Drama „Das goldene Ross“ des lettischen Nationaldichters
Rainis (eigentlich Jānis Pliekšāns (1865–1929)) an, in dem eine
Prinzessin auf dem Gipfel eines Glasberges zum ewigen Schlaf verdammt
ist, bis jemand den steilen Berg bezwingt und sie damit erlöst.
Foto: Kaspars Garda, Rīga 2014 |
Alles schön und gut. Ich verstehe ja
auch die Notwendigkeit einer neuen Nationalbibliothek, denn die alten
Gebäude waren und sind nach wie vor baufällig und hätten einer
dringenden Renovierung bedürft. Tja. Nun hat Riga eben einen
zentralistischen Bau, in dem alle wichtigen Bücher des Landes
zusammengeführt, in dem überdies aber auch noch eine
Universitätsbibliothek, ja, und auch noch eine öffentliche
Bibliothek untergebracht sein werden (noch ist es ja nicht so weit - die vollständige Eröffnung findet erst Ende August statt). Alles unter einem Dach. Nett. Hätte man auch anders
machen können. Ich bin mir nicht sicher, ob das mit dem Lichtschloss
so wichtig war. Aber mich fragt ja keiner...
0 Kommentare:
Kommentar veröffentlichen