Mittwoch, 23. Juli 2014

Touristen unter sich

Riga ist leer, Riga ist voll, es ist eine komische Atmosphäre in der Stadt. Am Wochenende haben die 27 000 Sänger der über 400 Chöre, die Riga zehn Tage lang in Atem hielten, wieder verlassen. Und die Organisatoren der „World Choir Games“ haben in der Arena Riga nochmals eine bombastische Abschlussfeier auf die Beine gestellt, die – sicher nicht unabsichtlich – doch sehr an die Olympischen Spiele erinnerte, nur das alles um ein Vielfaches kleiner von statten ging.

Foto: Kaspars Garda, Rīga 2014
Mir war vorher gar nicht klar, dass man für diesen Wettbewerb eine eigene Hymne und Flagge hat komponieren bzw. entwerfen lassen. Dem war aber so (nun weiß ich es). Natürlich wurden wie bei der Eröffnungsfeier nochmals die Fahnen aller teilnehmenden Länder auf die Bühne gebracht. Ein riesiger Chor, das lettische Sinfonieorchester und verschiedene (großartige) Solosänger präsentierten dann gekonnt Welthits wie beispielsweise von Elton John, Michael Jackson, Mikis Theodorakis oder ABBA, bis die Zuschauer aus dem Häuschen waren und der Saal bebte.

Foto: Kaspars Garda, Rīga 2014
Dass zwischendurch ein paar kurze Reden der lettischen Kultusministerin Dace Melbārde, des Bürgermeisters von Riga, Nils Ušakovs oder von Günter Titsch, dem Präsidenten von Interkultur angehört werden mussten, störte niemanden im Publikum, denn es ging ja gleich weiter, bis am Ende goldener Lametta-Regen vom Hallendach auf die Zuschauer rieselte. Stimmung pur. Perfekt inszeniert. Aber auch absolut wirkungssicher. Am Ende blieb mir der Gedanke, dass hinter all dem vielleicht doch nicht ganz so viel Idealismus steckt, sondern, ganz nebenbei, auch finanzielle Interessen. Immerhin macht der Veranstalter Interkultur einen Gewinn mit den World Choir Games, soviel ist sicher.

Foto: Kaspars Garda, Rīga 2014
Doch zurück zu Riga. Die Sänger sind weg und damit auch die tolle Atmosphäre. Stattdessen scheint die Tourismuswelle in der Altstadt ihrem Höhepunkt entgegen zu steuern. Ein Bus nach dem anderen lädt seine Reisegruppen ab, die in Eile durch die historischen Gassen stapfen. Auf dem Livenplatz (Līvu laukums) wird in den Straßencafés so laut Musik gespielt, dass man keine normale Unterhaltung mehr führen kann. Dagegen scheinen die meisten Einheimischen in den Urlaub gefahren zu sein, oder nach Jūrmala, dem 60 000-Einwohner-Badeort vor den Toren von Riga. Dort läuft gerade der russischsprachige Schlagerwettbewerb "Новая Волна" (Neue Welle), in dem sich hoffnungsvolle Gesangstalente aus allen ehemaligen Sowjetrepubliken vor laufender Kamera von den Etablierten der Szene demütig Noten von eins bis zehn geben lassen. Dieser Event geht noch bis zum Wochenende, bis dahin ist der Dzintari-Konzertsaal weitläufig abgesperrt, damit die Stars und VIP's, die in großer Zahl auch aus Moskau angereist sind, „standesgemäß“ empfangen werden können. Vor den Absperrungen harren die Fans geduldig aus, um vielleicht einen Blick zu erhaschen oder ein Autogramm zu ergattern.

Für mich ist es nun Zeit, inne zu halten und mich zu fragen, ob ich bisher getan habe, was ich tun wollte bzw. ob ich erreicht habe, was ich geplant habe. Ich denke, nein, das habe ich nicht, denn es gibt noch so viel, über das ich schreibe könnte, gerne schreiben würde. Und zwar viel mehr über persönliche Begegnungen, weniger über Veranstaltungen. Viel mehr wirkliche Auseinandersetzung mit dem Erlebten oder Gesehenen als pure Beschreibung. Riga, die Stadt, die ich schon so lange kenne und nun neu kennen lernen wollte, ist mir gerade entglitten und kommt mir ein wenig fremd vor.

„Du musst noch aktiver sein!“, „Du musst noch mehr unter die Leute gehen!“, „Du musst genauer sein“, „Du musst schneller sein!“ höre ich meine innere Stimme sagen. Schneller? Schneller von Eindruck zu Ausdruck kommen? Dran bleiben an einer Sache und sie nicht liegen lassen? Die Sachen, die anliegen, gleich erledigen? Vermutlich von allem etwas. Da bin ich selbst gespannt..
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