Riga
ist leer, Riga ist voll, es ist eine komische Atmosphäre in der Stadt.
Am Wochenende haben die 27 000 Sänger der über 400 Chöre, die Riga zehn Tage lang in Atem hielten, wieder verlassen. Und die
Organisatoren der „World Choir Games“ haben in der Arena Riga
nochmals eine bombastische Abschlussfeier auf die Beine gestellt, die
– sicher nicht unabsichtlich – doch sehr an die Olympischen
Spiele erinnerte, nur das alles um ein Vielfaches kleiner von statten
ging.
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Foto: Kaspars Garda, Rīga 2014 |
Mir
war vorher gar nicht klar, dass man für diesen Wettbewerb eine
eigene Hymne und Flagge hat komponieren bzw. entwerfen lassen. Dem
war aber so (nun weiß ich es). Natürlich wurden wie bei der
Eröffnungsfeier nochmals die Fahnen aller teilnehmenden Länder auf
die Bühne gebracht. Ein riesiger Chor, das lettische
Sinfonieorchester und verschiedene (großartige) Solosänger
präsentierten dann gekonnt Welthits wie beispielsweise von Elton
John, Michael Jackson, Mikis Theodorakis oder ABBA, bis die
Zuschauer aus dem Häuschen waren und der Saal bebte.
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Foto: Kaspars Garda, Rīga 2014 |
Dass zwischendurch ein paar kurze Reden der lettischen Kultusministe
rin
Dace Melbārde, des
Bürgermeisters von Riga, Nils Ušakovs oder von
Günter Titsch, dem Präsidenten von Interkultur angehört werden
mussten, störte niemanden im Publikum, denn es ging ja gleich weiter, bis am Ende goldener Lametta-Regen vom Hallendach
auf die Zuschauer rieselte. Stimmung pur. Perfekt inszeniert. Aber auch absolut
wirkungssicher. Am Ende blieb mir der Gedanke, dass hinter all dem
vielleicht doch nicht ganz so viel Idealismus steckt, sondern, ganz
nebenbei, auch finanzielle Interessen. Immerhin macht der
Veranstalter Interkultur einen Gewinn mit den World Choir Games,
soviel ist sicher.
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Foto: Kaspars Garda, Rīga 2014 |
Doch zurück zu Riga. Die Sänger sind
weg und damit auch die tolle Atmosphäre. Stattdessen scheint die
Tourismuswelle in der Altstadt ihrem Höhepunkt entgegen zu steuern.
Ein Bus nach dem anderen lädt seine Reisegruppen ab, die in Eile
durch die historischen Gassen stapfen. Auf dem Livenplatz (Līvu
laukums) wird in den Straßencafés so laut Musik gespielt, dass man
keine normale Unterhaltung mehr führen kann. Dagegen scheinen die
meisten Einheimischen in den Urlaub gefahren zu sein, oder nach
Jūrmala, dem 60 000-Einwohner-Badeort vor den Toren von Riga. Dort
läuft gerade der russischsprachige Schlagerwettbewerb "Новая Волна" (Neue Welle), in dem sich
hoffnungsvolle Gesangstalente aus allen ehemaligen Sowjetrepubliken
vor laufender Kamera von den Etablierten der Szene demütig Noten von
eins bis zehn geben lassen. Dieser Event geht noch bis zum
Wochenende, bis dahin ist der Dzintari-Konzertsaal weitläufig
abgesperrt, damit die Stars und VIP's, die in großer Zahl auch aus
Moskau angereist sind, „standesgemäß“ empfangen werden können.
Vor den Absperrungen harren die Fans geduldig aus, um vielleicht
einen Blick zu erhaschen oder ein Autogramm zu ergattern.
Für mich ist es nun Zeit, inne zu
halten und mich zu fragen, ob ich bisher getan habe, was ich tun
wollte bzw. ob ich erreicht habe, was ich geplant habe. Ich denke,
nein, das habe ich nicht, denn es gibt noch so viel, über das ich
schreibe könnte, gerne schreiben würde. Und zwar viel mehr über
persönliche Begegnungen, weniger über Veranstaltungen. Viel mehr
wirkliche Auseinandersetzung mit dem Erlebten oder Gesehenen als pure
Beschreibung. Riga, die Stadt, die ich schon so lange kenne und nun
neu kennen lernen wollte, ist mir gerade entglitten und kommt mir ein
wenig fremd vor.
„Du musst noch aktiver sein!“, „Du
musst noch mehr unter die Leute gehen!“, „Du musst genauer sein“,
„Du musst schneller sein!“ höre ich meine innere Stimme sagen.
Schneller? Schneller von Eindruck zu Ausdruck kommen? Dran bleiben an
einer Sache und sie nicht liegen lassen? Die Sachen, die anliegen,
gleich erledigen? Vermutlich von allem etwas. Da bin ich selbst
gespannt..
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