Montag, 12. Januar 2015
Vladimir Dimitrievich
Iveta
„Das muss ich ihnen jetzt aber doch erzählen!“ Iveta beugt sich mir entgegen, während ich schnell noch die Tasse mit dem Früchtetee beiseite stelle, und ihre sonst so melodiöse, beinahe theatralische Stimme bekommt einen mir ganz unbekannten Klang. „Ich habe neun Kredite aufgenommen! Und keine Bank wusste vom Kredit der anderen.“ Sofort schießen mir, dem abgesicherten Deutschen, naive Fragen durch den Kopf, wie „Kann das sein?“, „Hätte ich das auch gemacht?“ oder „Wird sie ihre Schulden je wieder zurückzahlen können?“
Da lehnt sich Iveta auch schon wieder zurück und ergänzt scheinbar ruhig: „Jetzt haben sie mein Haus genommen, dass ich damals mit meinem Mann aufgebaut habe.“ Nach und nach erfahre ich Dinge, die ich nie erwartet hätte, obwohl ich Ähnliches vermutet habe. Denn wie kann es sonst sein, dass diese energische, intelligente und auch feinfühlige Dame Ende fünfzig gleich drei Jobs gleichzeitig ausübt und trotzdem in einer Art Wohngemeinschaft wohnt? Einer Zweck-WG, in der diejenige Person, die fast nie da ist, das Sagen hat, nämlich die Tochter des über achtzigjährigen, pflegebedürftigen Wohnungsbesitzers. Da die restlichen zwei Zimmer an ausländische Studentinnen vergeben sind, bleibt die Pflegearbeit inklusive tägliches Kochen fast immer an Iveta hängen. Für eine reduzierte Miete selbstverständlich.
Das Zimmer in dem alten, teilrenovieren Jugendstilhaus in der Ģertrūdes iela bewohnt sie gerade mal ein halbes Jahr. Es ist ihre erste Bleibe in Riga, seit sie Aizkraukle, eine kleine Stadt im Südosten Lettlands, verlassen hat. Alles wirkt sehr provisorisch, und die Möbel, die nicht ihre eigenen sind, scheinen allesamt Relikte aus vergangenen Sowjetzeiten zu sein. „Wenn ich etwas Eigenes finde, ziehe ich hier sofort wieder aus,“ erklärt mir Iveta mit entschlossener Miene. Optimismus und Fröhlichkeit waren möglicherweise Eigenschaften, die schon immer einen Teil ihres Charakters ausmachten. Doch nun wirkt diese positive Ausstrahlung ein wenig aufgesetzt, scheint jederzeit in sich zusammenfallen zu können, wie eine dünne, äußerst empfindliche Maske.
Iveta hat zahlreiche Schicksalsschläge hinnehmen müssen. Vor allem den Unfalltod ihrer beiden drei- und fünfjährigen Kinder Ende der 1980er Jahre hat sie bis heute nicht überwunden, sie tut sich schwer, darüber zu sprechen. Ebenso geht es ihr, als ich sie nach ihrem Mann frage, der nur wenige Jahre später an Krebs verstarb. Nun ist sie mehr oder weniger allein, irgendeinen Kontakt zu Verwandten hat sie nicht. Vielleicht war der Verlust ihrer Familie auch einer der Gründe, warum sie ihre Stelle als Deutschlehrerin an einer Schule in Aizkraukle aufgab, um etwas völlig Neues zu beginnen. Ein Schönheitssalon sollte es sein, das war ihr großer Traum, und damit verbunden war natürlich die Hoffnung, mehr Geld zu verdienen als sie es bis dahin getan hatte.
Die Banken gaben ihr die benötigten Kredite, allerdings zu äußerst ungünstigen Konditionen. Geld zu bekommen war vor der lettischen Wirtschaftskrise, die 2008 einsetzte, ein Kinderspiel. Die Wachstumsraten waren enorm, und Immobilienbesitzer waren felsenfest davon überzeugt, dass der Wert ihrer Wohnung beständig steigen würde. Das ganze Land befand sich in einer Art Konsumrausch. Der Erfolg der anderen Existenzgründer beflügelte auch Iveta. Doch dann lief das Geschäft schlechter als erwartet, und es kam, wie es kommen musste: Die Kredite konnten nicht zurückgezahlt werden und das Haus in Aizkraukle wurde gepfändet. Und wie so oft folgt einem Fehler der nächste Fehler: In ihrer Verzweiflung versuchte Iveta das fehlende Geld im Internet bei Online-Quizshows zu gewinnen – und verlor abermals.
Beinahe eine viertel Million Euro müsse sie nun an die Banken zurückzahlen, erzählt sie mir. Ihre Tätigkeit als Museumswärterin hilft da nicht viel. Auch nicht ihre Jobs als Deutschlehrerin bei einer lettischen Arbeitsvermittlungsagentur und als Mitarbeiterin eines Marktforschungsinstituts. Letztendlich könne sie arbeiten so viel sie wolle, ihre Schulden würden für immer bestehen bleiben, und ihr Leben am Existenzminimum ebenfalls.
„Reden wir doch über etwas anderes!“ sagt Iveta mit fröhlicher Stimme und bietet mir noch einen Keks an. Da öffnet sich die Zimmertür und der alte Wohnungsbesitzer schaut herein. „Ach so, Entschuldigung, das wusste ich nicht.“ grummelt er auf Lettisch und schließt die Tür wieder. Scheinbar wollte er Iveta wieder um einen Gefallen bitten. „Heute morgen habe ich für ihn eingekauft und gekocht. Aber seine Tochter war mal wieder nicht zufrieden mit mir, die Kartoffeln waren zu hart, angeblich.“ Iveta schaut auf die Uhr. „Ich muss jetzt losgehen, ins Museum. Danach mache ich noch ein paar Umfragen.“ Sie steht auf und will den Tisch abräumen. Als sie mich ganz betroffen im Sessel sitzen sieht, hellt sich ihr Gesicht auf, und mit ironisch-pathetischer Stimme ruft sie aus, als wolle sie mich aufmuntern: „Beigas labas, viss labs! Ende gut, alles gut!“ Den Humor hat Iveta wahrlich nicht verloren, und das ist wohl auch gut so.
Montag, 29. September 2014
Baiba Giptere und das Hinterhof-Projekt in der Moskauer Vorstadt
Auf einer Bank sitzen ein paar Rentner und plaudern angeregt. Nebenan turnen Kinder ausgelassen an den neuen Spielgeräten. Vögel zwitschern, ein Auto parkt, von weitem hört man eine Straßenbahn vorbeifahren. Eine ältere Dame mit Plastiktüte in der Hand betrachtet geradezu fürsorglich einige Kürbisse, die bereits so groß wie Basketbälle sind. Das Geräusch eines Rasenmähers vermittelt den Eindruck von ländlicher Betriebsamkeit. Doch der Ort, an dem sich diese scheinbar alltägliche Szene abspielt, ist ein ungewöhnlicher Hinterhof in Riga, genauer gesagt in der Moskauer Vorstadt, einem Stadtviertel, das überwiegend aus ziemlich heruntergekommenen Holzhäusern und sowjetischen Plattenbauten besteht, und in dem fast nur Russen wohnen.
„Baiba!“ ruft die Frau mit Plastiktüte auf Russisch. „Willst Du noch eine Tüte mit Äpfeln haben?“ „Ja, gerne, danke! Ich komme gleich!“ ruft eine Stimme aus dem Hausflur zurück. Kurze Zeit später erscheint eine Frau um die fünfzig, akkurat gekleidet, blondiertes schulterlanges Haar. Hinter ihr ein Mann mit Fotoapparat und Aufnahmegerät, ein Journalist aus Deutschland, dem sie gerade den Projektraum gezeigt hat. Er verabschiedet sich höflich, dann geht Baiba zu der Frau bei den Kürbissen und nimmt die Plastiktüte mit den Äpfeln entgegen.
Medienvertreter aus aller Welt wurden in diesem Hinterhof schon oft gesehen, seitdem die Nachbarn nicht mehr den ganzen Tag vor dem Fernseher sitzen, jeder für sich allein, und vor allem, seitdem der verwahrloste Bereich zwischen den fünfstöckigen Mehrfamilienhäusern aus weißem Backstein nicht mehr Treffpunkt von Alkoholikern, Drogenabhängigen und Müllsammlern ist. Baiba war zwar nicht die Erste, die sich über den schlechten Zustand des Hofs aufregte, dafür war sie aber bereit, sich dafür einzusetzen, ihn umzugestalten. Sie wollte einfach nicht mehr zulassen, dass ihre jüngster Sohn in einem mit leeren Flaschen und Zigarettenkippen verschmutzten Sandkasten spielen musste.
So gründete sie mit einigen Nachbarn den Verein für die Entwicklung der Latgaler Vorstadt (Asociācija Latgales priekšpilsētas attīstībai), zu der auch die Moskauer Vorstadt gehört. Und als bekannt wurde, dass sowohl die Stadt Riga als auch die Stiftung Riga 2014 Gelder für die besten Konzepte für die Verschönerung der Hinterhöfe bereitstellen würden, erarbeitete die kleine Gruppe um Baiba ein erfolgreiches Konzept, mit dem sie jeweils den Zuschlag erhielt. Spätestens von dem Moment an, als Gärtner und Architekten kamen und konkrete Pläne für die Umgestaltung vorlegten, waren auch die meisten bisher eher skeptischen Nachbarn bereit mitzumachen. In gemeinsamen Aktionen wurde der Innenhof nun in gemeinschaftlicher Arbeit umgebaut. Und nicht nur das. In der Folge organisierte der Verein Hoffeste, Sommer-Sport, Ausflüge, Kochkurse und Bastelwerkstätten, die zum Teil draußen im Hof und teilweise in dem oberflächlich renovierten Projektraum im Kellergeschoss veranstaltet wurden, den der Verein angemietet hatte.
Was nun folgte, war im positiven Sinne absehbar: Die Nachbarn aus der Umgebung kamen und interessierten sich, und so dauerte es nicht lange, bis Baiba den nächsten Antrag schrieb. Mittlerweile sind es drei Hinterhöfe, die umgestaltet wurden, und ein Ende ist noch nicht in Sicht. „Die Menschen hier haben verstanden, dass sie Dinge verändern können, wenn Sie gemeinsam handeln. Und dass es wichtig ist, wenn einer den Anfang macht.“ erzählt Baiba immer wieder den Besuchern, die sich ein eigenes Bild machen möchten. Dabei ist ihr aber auch klar, dass die Umgestaltung niemals ohne öffentliche Fördermittel und private Spenden funktioniert hätte. Auf die immer wiederkehrende Frage, warum sie hier als Lettin zwischen so vielen Russen wohne, antwortet sie gelassen, dass Sie schon seit zwanzig Jahren hier lebe, und dass sehr gerne. „Ich denke beinahe schon auf Russisch“ fügt sie lachend hinzu. „Die Russen sind offener als die Letten, mit ihnen ist es einfacher, etwas zu unternehmen. Die Letten sitzen lieber zu Hause“.
Illusionen über das Leben in Riga macht sich die gelernte Schneiderin trotz aller Bemühungen aber nicht. Dass ihre älteste Tochter beabsichtigt, nach New York zu fliegen, um sich dort um einen Studienplatz zu bewerben, unterstützt sie ohne Wenn und Aber. „Welche Perspektive hat sie schon hier in Riga?“ Dass es keine Kontinuität gäbe, bemängelt sie. So ginge es auch ihren Nachbarn, von denen meisten nur an heute und morgen denken würden. Was danach käme, sei ohnehin nicht planbar, zumindest nicht in diesem Land.
Angst vor Putin und seiner aggressiven Außenpolitik habe sie aber nicht. Und dass es unter den Russen einige Befürworter Putins gäbe, stört sie nicht. Niemals würde er es wagen, Lettland oder auch nur Teile Lettlands zu okkupieren, da sei sie felsenfest von überzeugt. Und die lettischen Russen würden es auch gar nicht wollen, gibt sie zu bedenken. Die wüssten genau, dass es ihnen hier besser geht als den meisten Menschen in Russland.
Baiba Giptere macht es wohl richtig. Ohne sich allzu große Illusionen zu machen, setzt sie sich für die Verbesserung des Zusammenlebens der Menschen ein. Es ist erstaunlich, dass die Verschönerung eines Hinterhofs die Aufmerksamkeit der internationalen Presse erregt. Eigeninitiative und nachbarschaftliche Projekte scheinen in Lettland immer noch etwas Besonderes zu sein.
Sonntag, 28. September 2014
Stadtschreiber im Ostseemagazin auf Radio NDR 1 Welle Nord
Am 25. September veröffentlichte der Radiosender NDR 1 Welle Nord im Ostseemagazin einen Beitrag der Journalistin Birgit Johannsmeier über mich als Stadtschreiber.
Hier kann man mal reinhören
ab Min. 13:50, mit freundlicher Genehmigung von "NDR 1 Welle Nord Ostseemagazin"
Samstag, 27. September 2014
Abschied und Rückkehr
Die Abschlussveranstaltung im Goethe-Institut am vergangenen Dienstag mit Lesung und anschließendem Gespräch mit Anna Muhka von der Stiftung Riga 2014 und Jonas Büchel vom Urban Institute Riga war aus meiner Sicht erstaunlich gut besucht. Für mich war es eine ganz neue Erfahrung, eigene Texte vor einem Publikum zu lesen. Besonders gespannt war ich auf die Reaktion der Zuhörer auf die Kurzportraits von Menschen, die in Riga leben. Es hat mich gefreut, einige positive Rückmeldungen erhalten zu haben. Ich würde das "Projekt" nämlich gerne fortsetzen, und vielleicht habe ich ja bis zum kommenden Sommer genug Texte beisammen, dass man daraus eine kleine Publikation machen kann. Vor allem Riga-Besuchern könnten die Portraits einen tieferen Einblick in das Alltagsleben in Riga vermitteln.
Ein kleines Missverständnis möchte ich an dieser Stelle kommentieren. Eine Zuhörerin verstand mich während des Podiumsgesprächs wohl falsch. Sie warf mir hinterher vor, dass ich angefangen hätte, Russisch zu lernen, als ich in diesem Sommer nach Riga kam. Wäre es tatsächlich so gewesen, hätte ich ihre Reaktion verstanden. Doch in Wahrheit lernte ich bereits während meines ersten Riga-Aufenthalts 1999 Russisch, und zwar aus familiären Gründen. Später begann ich dann damit, Lettisch zu lernen, was zugegebenermaßen nur sehr langsam vonstatten ging. Während meines Aufenthalts in diesem Sommer nahm ich Lettisch- und nicht Russisch-Unterricht.
Riga, diese schöne Stadt an der Mündung der Daugava in die Ostsee, ist mir wieder einmal ein großes Stück näher gekommen, oder ich ihr. Mit dem sicheren Gefühl, die Stadt eigentlich schon recht gut zu kennen, kam ich Ende Mai an, und musste bereits im Juni feststellen, dass ich eigentlich immer noch ein Fremder, ein Außenstehender bin. Doch durch die Vielzahl an interessanten Menschen, die ich in dieser Zeit kennenlernen durfte, aber auch durch neue Orte, die ich in diesem Sommer erstmals besuchte, fühle ich mich in Riga so wohl wie niemals zuvor. Es fiele mir sehr schwer, von dieser Stadt Abschied zu nehmen, wüsste ich nicht, dass ich auch in Zukunft häufig da sein werde.
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| Foto: Mārtiņš Otto, Rīga 2014 |
Ein würdiger Abschluss war da das Gemeinschaftskonzert des Kammerorchesters Sinfonietta Riga und des Berliner Andromeda Mega Express Orchestra im Konzertsaal "Riga" der Akademie der Wissenschaften unter der Leitung von Jānis Liepiņš am vergangenen Freitag (26. September). Die Veranstaltung wurde übrigens vom Goethe-Institut Riga initiiert und gefördert, das speziell für dieses "Großorchester" einen Komponistenauftrag an den Komponisten Daniel Glatzel vergeben hatte. Das Ergebnis war eine spektakuläre Mischung aus Klassik-, Jazz-, BigBand-, Filmmusik-, Freejazz, Elektronikmusik- und Avantgardemusikelementen. Eine spannendes Ereigniss, dass nach Wiederholung ruft.
Nicht wiederholt wird aller Voraussicht nach die Position des Stadtschreibers in Riga. Schade. Aber ganz sicher wird es in Zukunft andere Möglichkeiten geben, den kulturellen Austausch zwischen Lettland und Deutschland zu fördern. Der ist nämlich wichtig für beide Seiten, gerade jetzt, in Zeiten der Ukraine-Krise.
Dienstag, 16. September 2014
Abschlussveranstaltung als Stadtschreiber
Lyrik im herbstlichen Riga
Freitag, 12. September 2014
Anleitung zum Busfahren für Deutsche in Riga
Schon einen Tag zuvor hatte ich mich über drei Russen aufgeregt, die auf dem Hof einer Grundschule nicht nur an den Turngeräten Kraftübungen machten (das geht ja noch), sondern ihren Flüssigkeitshaushalt am nächstbesten Gebüsch regelten - während der Unterrichtszeit. Da ertappte ich in mir eine sehr deutsche Seite. Meine emotional leicht aufgeladene Belehrung gegenüber diesen drei glattrasierten Sportskanonen, dass dies ein Schulhof und keine öffentliche Toilette sei, hätte ich wahrscheinlich mit ein paar Veilchen bezahlt, wäre ich nicht in Begleitung einiger russischer Einheimischer gewesen. Doch zurück zum spielfreudigen Handybesitzer im Jogginganzug: Da ich mich zurückhielt, hoffte ich auf eine Reaktion der anderen Mitfahrer. Doch nichts dergleichen. Außer einigen irritierten oder auch leicht verwunderten Blicken konnte ich keinen Impuls ausmachen, der zu einer Beschwerde geführt hätte. Letztendlich sagte keiner was, obwohl es alle störte.
| Bus beim Hauptbahnhof |
In Riga wurden übrigens in den letzten 10 Jahren aufgrund der Erneuerung der Busflotte enorm viele Arbeitskräfte gestrichen. Während es früher noch in jedem einzelnen Bus eine Fahrkartenverkäuferin gab, geht es heute moderner zu als beispielsweise in Berlin. Nun muss man seine vorher erworbene Fahrkarte mit Chip an eine elektronischen Ticketkontrolle halten. Nur ab und zu finden Fahrkartenkontrolleure den Weg in den Bus, aber dann nicht selten zu viert oder zu sechst. Schwarzfahren kostet in Riga übrigens 5 Euro - für viele Letten/Russen ist das bereits eine schmerzhafte Geldstrafe. Auffallend ist ein Video, das diesbezüglich in vielen Bussen hinter der Fahrerkabine zu sehen ist. Dort wird nämlich vorgeführt, wie sich ein guter lettischer Bürger verhalten soll. Erkennt er einen Störer (z. B. das Spielen von zu lauter Musik) oder jemanden, der sein Ticket nicht entwertet hat, soll er direkt die Nummer der Polizei wählen. Die kümmert sich dann um die verdächtigte Person, die ohne weitere Befragung von Polizisten mit schusssicherer Weste aus dem Bus geführt wird. Schon wieder kommen mir beim Betrachten dieses kurzen Films Gefühle hoch, die die hiesigen Bürger scheinbar nicht teilen: "Das ist doch eine Aufforderung zur Denunziation", denkt da die politisch korrekte Seele.
Mittwoch, 10. September 2014
Stender und die Letten
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| Friedrich Gotthard Stender, von Unbekannt, via Wikimedia Commons |
Dies erläuterte Ruth Florack von der Universität Göttingen in ihrem gut zwanzigminütigen Vortrag über „Gellerts moralische Lehren – ein deutsch-lettischer Kulturimport“, einer von über vierzig Vorträgen, die in dem dreitägigen Programms stattfanden. Ein Teil der Tagung wurde im knapp eine Stunde von Riga entfernten Mitau (Jelgava) abgehalten, dem Ort, an dem Stender zwischen 1742 und 1744 als Konrektor an der Stadtschule arbeitete, bevor er für acht Jahre Pastor in Birsgallen (Birzgales pagasts) in der Nähe von Riga wurde. Stender war ein umtriebiger Mensch, der nicht nur häufig den Wohnort und die Stelle wechselte - er lebte unter anderem auch in Jena, Halle, Helmstedt, Braunschweig, Hamburg und auch Kopenhagen, wo er Professor der Geografie wurde, um nach nur zwei Jahren nach Kurland zurückzukehren.
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| Denkmal von Friedrich Gotthard Stender in Eglaine, von anakes, via Wikimedia Commons |
Stender hat den Letten enorm viel weitergeholfen auf dem Weg zu ihrem eigenen Nationalgefühl, zu ihrer eigenen Kultur. Auch Krišjānis Valdemārs (1825-1891), der lettische Journalist und Förderer der Seefahrt, der sich als einer der ersten Bürger öffentlich als Lette bezeichnete (was damals, vor allem als gebildeter Mensch, undenkbar war), und sich als Mitbegründer der Bewegung der Jungletten einen Namen machte, bezog sich in seinen didaktischen Schriften auf Gotthard Friedrich Stender. Und der war sich seiner Bedeutung vermutlich bewusst, als er veranlasste, dass auf seinem Grabstein „Hier ruht G. F. Stender der Lette“ eingraviert wurde. Ein ermutigendes Statement, das ihm die Letten bis heute nicht vergessen haben. Kaum verwunderlich ist da, dass zeitgleich zur wissenschaftlichen Tagung in der neuen Lettischen Nationalbibliothek eine Ausstellung über den „Letten“ und seine Zeit mit dem Titel ”Lette. Zeugnisse des Lebens, der Gedanken und des Werks” eröffnet wurde.
Freitag, 5. September 2014
Russische Schule
Dass die Russen anders feiern als die Deutschen, dürfte ja weithin bekannt sein. Ja, sie sind ausgelassener, und dass vermutlich jeder zweite Mann nicht nur recht gut Gitarre spielen, sondern dazu auch noch Lieder von Vladimir Vysocki, dem legendären Moskauer Schauspieler und Liedermacher, singen kann, ist kein Klischee. Auch, was die Ausdauer beim Feiern betrifft, dürfte es keine zwei Meinungen geben.
Was
die Organisation von Veranstaltungen angeht, haben die Russen jedoch
noch Lernbedarf. Aber vielleicht möchten sie es auch gar nicht so
perfekt haben. So wie auf der Schuleröffnungsfeier der 'J.G.Herdera
Rīgas Grīziņkalna vidusskola' am vergangenen Montag, als am ersten
September die Kinder aus ihren dreimonatigen Ferien zurückkamen,
übrigens den längsten in ganz Europa. Da versammelten
sich die Kinder, Lehrer und Eltern bei strahlendem Sonnenschein auf
dem Hof vorm Haupteingang, während eine Rede nach der anderen
gehalten wurde, unter anderem auch von Nils
Ušakovs, dem amtierenden Bürgermeister von Riga. Es wurde nämlich
nicht nur der erste Schultag, sondern auch die Eröffnung der
neugegründeten Schule gefeiert. Da die Schülerzahlen in den letzten Jahren an vielen
Schulen stark gesunken sind, hat man nun aus zwei Schulen eine
gemacht. Eine davon ist die nun ehemalige 'Rīgas Herdera
vidusskola', eine russischsprachige Schule mit Deutsch als
Schwerpunkt. Sie musste aus ihrem langjährigen Haus in der Skolas
iela ausziehen und wurde nun mit der ehemaligen 'Rīgas Grīziņkalna
vidusskola' zusammengelegt.
Sonntag, 31. August 2014
A Short Presence
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| Marta Veinberga: The Wave / Vilnis. Öl auf Leinwand, 65 x 60 cm, 2014 |
Während auf den Ölbildern von Marta Veinberga ausschließlich scheinbar leerstehende Gebäude aus der Sowjetzeit zu sehen sind, gilt das Interesse Michael Buehlers ganz dem Meer und den Bergen. Und während es seine Bilder bewusst oftmals offen lassen, was denn eigentlich genau zu sehen ist, versucht Marta Veinberga dem Betrachter das Gefühl zu geben, als sähe er angeblich ein beinahe perfektes Abbild des Originals. Dabei erinnern ihre Bilder an die Werke von Edward Hopper, dem Maler des Amerikanischen Realismus, dessen Bild "Nighthawks" unzählige Male kopiert wurde (z. B. "Boulevard of Broken Dreams" von Gottfried Helnwein).
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| Michael Buehler: Ice Figure / Ledus stāvs. Foto aus Albula, 32 x 31 cm |
Und in diesem Sinne ist der Titel der Ausstellung "A Short Presence" natürlich absolut zutreffend. Ganz im Gegenteil dazu kennen sich der erfahrene Fotograf Michael Buehler und Marte Veinberga, die erst kürzlich ihr Studium an der lettischen Kunstakademie abgeschlossen hat, schon seit einigen Jahren. Und nicht nur das: Nach Lettland kommt Michael Buehler bereits seit 1994. Seitdem kehrt er regelmäßig zurück, nicht nur, um das Meer zu fotografieren, sondern auch, um Fotokurse zu geben.
Freitag, 29. August 2014
Deutsche Delegation in Riga
Nachdem die Bundestagsabgeordneten unter anderem das Okkupationsmuseum und die Holocaust-Gedenkstätten in Rumbula und Biķernieki besucht hatten, kamen sie auch im Goethe-Institut vorbei, wo Sie über die Tätigkeiten des Instituts informiert wurden. Freundlicherweise durfte ich bei diesem Gespräch dabei sein. Es war interessant zu sehen, wie unterschiedlich interessiert die einzelnen Delegationsmitglieder waren. Während die einen aufmerksam zuhörten und engagiert Fragen stellten, spielten die anderen lieber mit ihren Mobiltelefonen. Das eine oder andere Mal konnte man das Versenden oder die Ankunft einer Mail oder SMS live erleben. Das soll aber nicht heißen, dass die Delegationmitglieder grundsätzlich uninteressiert waren. Ich kann verstehen, dass jeder Politiker seine eigenen Themen hat, für die er sich engagieren möchte, und schließlich hatte die Gruppe bereits ein straffes Programm hinter sich.
Am Ende des Gesprächs kam das Thema auf das ehemalige KGB-Haus, in dem seit Anfang der 1940er Jahre bis zur Unabhängigkeit Lettlands unzählige unschuldige Menschen auf brutalste Weise inhaftiert waren. Es stand seit Beginn der 1990er Jahre leer, bis es im Mai im Rahmen des Kulturhauptstadtprogramms für Besucher zugänglich gemacht wurde. Seitdem sind hier gleich sechs Ausstellungen zu sehen, außerdem werden Führungen durch den Gefängnistrakt im Untergeschoss angeboten. Ein Besuch der Delegation in diesem bedrückenden Ort war meines Wissens ursprünglich nicht vorgesehen. Im Nachhinein habe ich nun erfahren, dass die Gruppe es irgendwie doch noch geschafft hat, sich das Haus und die Ausstellungen anzuschauen - mit bleibendem Eindruck, denn offensichtlich möchte sich die Delegation nun dafür einsetzen, dass das Gebäude in seiner jetzigen Funktion als Mahnmal bzw. Museum erhalten bleibt. Ob es dazu kommt, ist nämlich fraglich. Im Herbst diesen Jahres soll in Riga eine Konferenz dazu stattfinden, bei der Vertreter aus Kultur, Wissenschaft, Wirtschaft und Politik darüber sprechen, was mit diesem Haus, in dem soviele Grausamkeiten begangen wurden, und um das die meisten Rigenser in den vergangenen Jahrzehnten einen großen Bogen machten, in Zukunft geschehen soll. Ich bin gespannt darauf, und finde es erfreulich, dass sich auch die Delegation weiterhin mit diesem Thema beschäftigen möchte.
Dienstag, 26. August 2014
Herders Geburtstag
Ich weiß nun, dass der Platz vor 150 Jahren, im Jahr 1864, zu Ehren des deutschen Philosophen und Schriftstellers umbenannt wurde - genau 100 Jahre nach seiner Ankunft in Riga, um an der Domschule zu lehren und zu predigen. Seine damalige Form erhielt der Platz übrigens, nachdem die Bebauung auf der Westseite des Doms abgerissen worden war. Bis 1864 diente der Platz vor allem als Standort der kleinen Stadtwaage, weshalb er zuvor "Platz der kleinen Waage" genannt wurde.
Es ist durchaus bezeichnend, dass das Herder-Denkmal das erste Denkmal eines Kulturschaffenden in Riga war, heute aber kaum jemand Notiz von diesem Jubiläum genommen hat. Dabei war Herder derjenige, der sich in den Jahren seines Aufenthalts in Riga, zwischen 1764 und 1769, mit den lettischen Volksliedern, den sogenannten Dainas, beschäftigte und diese einem breiteren Publikum bekannt machte, indem er einige von ihnen in seinem zweibändigen Werk "Volkslieder" aufnahm (erschienen 1778/79). Eine zweite, bekanntere Fassung erschien 1807 unter dem Namen "Stimmen der Völker in Liedern". Damit stärkte er auch das langsam erwachende lettische Nationalbewusstsein.
Matthias Knoll hat, glaube ich, gestern Blumen vor dem Denkmal niedergelegt (ich war nicht dabei). Und er ist der Meinung, dass Herder einen neuen Sockel verdient hätte. Als Geburtstagsgeschenk sozusagen. Erstrebenswert wäre es ja, vielleicht zum 275. Geburtstag.
Montag, 25. August 2014
The Baltic Way
Mittwoch, 20. August 2014
Großer Friedhof
Meine Wohnung befindet sich nur wenige Minuten von dort entfernt, und so ist es naheliegend, dass ich hin und wieder zwischen den alten Gruften, Kreuzen und gebrochenen Säulen spazieren gehe und, je nach Stimmung, meine Gedanken treiben lasse oder, und das kommt häufiger vor, sie zu ordnen versuche.
Seit Jahren wird dieses etwa 22 Hektar großes Gebiet, das der Evangelisch Lutherischen Gemeinde gehört, mehr oder weniger sich selbst überlassen. Umgekippte Grabsteine bleiben liegen und Familiengruften dienen als Unterschlupf für Obdachlose. Die Verwahrlosung begann schon in den Nachkriegsjahren, als viele Gräber geplündert oder zerstört wurden. Darüber hinaus entschied der Stadtrat in den 1960er Jahren, den Friedhof, der 1957 endgültig geschlossen worden war, in einen Park umzuwandeln. Daraufhin wurde ein großer Teil der Gräber entfernt.
So gesehen wirkt ein Gang über den Großen Friedhof auf mich wie ein Spiegelbild der deutschbaltischen Kultur. Wie ein Kapitel, dass zugeschlagen wurde und nicht weitergeschrieben werden kann. Die Letten und die Russen, die heute die Mehrheit in der Stadt ausmachen, haben nur wenig Interesse an diesem Aspekt ihrer Vergangenheit. Der Vergangenheit ihrer Stadt. Aber vielleicht ändert sich das ja nochmal.
Mittwoch, 13. August 2014
Kultur ist...
Wenn man die Antworten betrachtet, könnte man zu dem Ergebnis kommen, dass für jeden Kultur etwas anderes ist, oder Kultur alles, oder Kultur von allem etwas...
Und im Vergleich zum anspruchsvollen Kulturhauptstadtprogramm, das ja offiziell unter der großen Überschrift "Force Majeure" (höhere Gewalt) steht, sind die meisten Vorschläge auf den Aufklebern..., ach, wozu viel reden bzw. schreiben, manchmal stehen die Dinge besser für sich...
Montag, 11. August 2014
ReReRiga?
Dass heißt, eigentlich nicht egal, überhaupt nicht. Es geht hier nämlich um ein "worldmusic" und "streetart festival" mit eben diesem phonetisch durchaus klangvollen und irgendwie magische Momente versprechenden Namen. Magisch. Das könnte hinhauen. Denn "streetart" und "worldmusic" kann ja durchaus schon mal extrem beeindruckend sein.
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| BRAM GRAAFLAND (Niederlande), Foto: Mārtiņš Otto, Rīga 2014 |
Mir zumindest ging es schon oft so. Zum Beispiel kann ich mich an zwei Männer erinnern, die am Londoner Piccadilly Circus unfassbar gut auf zwei primitiven Plastikeimern trommelten, so dass ich alles darüber vergass, jeglichen Plan, sofern es einen gab, über den Haufen warf, und bis zum Ende stehen blieb, sogar dann noch, als die beiden Männer ihren Verdienst eingesammelt hatten und unvermittelt weggegangen waren.
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| COMPAGNIE MOBIL (Niederlande), Foto: Kaspars Garda, Rīga 2014 |
Mir persönlich ist diese "Kunstgattung" ja schon öfter mal begegnet - oder ich ihr - vor allem in Frankreich, in Avignon, während des Theaterfestivals, wo es ja neben dem offiziellen Programm ja auch noch ein Off-Programm und darüber hinaus auch noch ein inoffizielles Straßentheaterfestival gibt.
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| CIRKA TEATER/AUSEKLĪTIS (Norwegen/Lettland), Foto: Kaspars Garda, Rīga 2014 |
Aber vielleicht ist dieses Festival ja auch ein Zeichen dafür, dass sich da etwas entwickelt. Das könnte schon sein. Übrigens weiß ich nun auch, was ReReRiga bedeutet. Es ist der Name einer lettischen Baufirma. Na sowas.
Samstag, 9. August 2014
Schnitzel "Sigulda"
Freitag, 8. August 2014
In der Livländischen Schweiz
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| Blick vom Burgturm |
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| Burg Sigulda |
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| Neues Schloss in Sigulda |

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